Management Coaching in der Presse
Der folgende Artikel ist in Brand Eins erschienen und beschreib ein Coaching aus der Sicht des Coaches wie auch des Klienten. Geschrieben von Friederike Böge, verfügbar unter folgendem Link: Managementcoaching.
Was will ich?
brand eins: Herr Schmitz, viele Ihrer Kunden sind privilegiert: erfolgreich im Beruf, gutes bis sehr gutes Einkommen, beeindruckende Karriere. Warum sind diese Leute unglücklich?
Michael Schmitz: Weil sie das Gefühl haben, mit ihrem bisherigen Lebenskonzept nicht mehr weiterzukommen. Sie sind unzufrieden oder haben das Gefühl, aus ihrem Leben nicht das zu machen, was sie eigentlich wollen. Oder sie laufen gegen Mauern und erleben einen Karriereeinbruch. Um zu wissen, wo man steht, also um sich zu orientieren, muss man verstehen, was man selbst zu dieser Situation beigetragen hat. Sie zu ändern, sich neu zu orientieren verlangt die Bereitschaft, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Das ist nicht immer angenehm.
Wozu soll diese Auseinandersetzung führen?
Es geht darum, besser zu verstehen, welche Motive das eigene Handeln steuern, zum Beispiel das Streben nach Macht oder Anerkennung. Die Frage ist, welchen Preis wir dafür zahlen. Wenn ich nach 20 Jahren Karriere eine Führungsposition mit hohem Einkommen und gesellschaftlichem Ansehen habe, aber keine gute Ehe, kein herzliches Verhältnis zu meinen Kindern, keine Interessen außerhalb der Arbeit, dann entstehen Sinnkrisen. Das schafft einen gewissen Druck zur Neuorientierung. Allerdings hat die Vorstellung, sich zu verändern, auch etwas Bedrohliches: Ich verzichte unter Umständen auf Gratifikationen, an die ich mich gewöhnt habe. Wird das aufgewogen durch das, was ich durch die Veränderung neu gewinne? Das ist ein Kampf von unterschiedlichen Gefühlen. Im „inneren Team“, wie das der Psychologe Friedemann Schulz von Thun nennt, konkurrieren die verschiedenen Bedürfnisse und Ambitionen miteinander.
Was ist darunter zu verstehen?
Sie können sich das wie ein inneres Theater vorstellen, in dem Ihre unterschiedlichen Wünsche auftreten. Manche dieser Teamspieler preschen vor, sie tragen besonders laut ihre Begehrlichkeiten vor und drängen damit die anderen in den Hintergrund. Wer ausschließlich auf die besonders lauten Teamspieler hört und sich nur auf ihr Ziel fokussiert, zum Beispiel darauf, Karriere zu machen, wird wahrscheinlich nicht glücklich. Jeder muss für sich entscheiden, wie er seine Bedürfnisse ausbalanciert. Genau darum, sich solche Prozesse bewusst zu machen, geht es, wenn man sich in seinem Leben neu orientiert.
Sie selbst haben das auch getan. Bevor Sie sich als Coach selbstständig gemacht haben, haben Sie lange Zeit erfolgreich beim ZDF gearbeitet. Warum haben Sie das aufgegeben?
Die Neugier, die mich als Journalist getrieben hat, ist immer stärker an Grenzen des Apparats gestoßen. Ich war Kriegsberichterstatter in den Jugoslawien- und den Golf-Kriegen, ZDF-Chefreporter und Washington-Korrespondent. Es gab zunehmend Zwänge, sehr schnell sehr viele Berichte zu produzieren. Ich konnte einem Thema zu selten auf den Grund gehen. Ich will keine Fernsehschelte betreiben, aber das Medium hat seine eigenen Gesetze. Die Länge der Berichte macht es unmöglich, komplizierte Sachverhalte differenziert zu analysieren. Die Tendenz, einen dramatischen Drall in eine Geschichte zu bringen, ist stärker geworden. Nach etwa zwanzig Berufsjahren hatte ich den Eindruck, dass meine alten Parameter, mit denen ich mir die Welt erklärt habe, nicht mehr ausreichen.
War das eine persönliche Krise?
Vielleicht hätte es das werden können, wenn ich mein Leben nicht geändert hätte. Ich hatte die Chance, eine Auszeit zu nehmen und ein Jahr an der Universität Chicago Psychologie und Management zu studieren. Es ging darum, wieder neu und ernsthaft über Dinge nachzudenken. Zur Debattenkultur in Chicago gehörte das Wissen, dass wir Wirtschaft nur erklären können, wenn wir verstehen, was Menschen treibt. Als Manager zu glauben, dass dafür die eigene Lebenserfahrung genügt, scheint mir naiv zu sein. Nach diesem Jahr war mir klar, dass ich als Coach arbeiten will. Mit der Zeit wurden die Coaching-Aufgaben komplexer, zu mir kamen zunehmend Klienten aus dem Management und aus dem Spitzensport. Gerade bei Managern gibt es oft gewisse Vorbehalte gegen Psychologen. Mein Vorteil war, dass ich vorher eine andere Karriere hatte und dass ich eine qualifizierte Management-Ausbildung gemacht hatte, nach Chicago war ich noch drei Jahre in Harvard. Das schafft Glaubwürdigkeit.
Wer neu anfangen möchte, muss alte Privilegien aufgeben. Ist Ihnen das schwergefallen?
Ich musste für mich herausfinden, ob es mir etwas ausmacht, keine Bildschirmpräsenz mehr zu haben. Zeitweise war es für mich ein erhebendes Gefühl, als Reporter eine kleine Prominenz zu genießen. Die Neigung, den eigenen Narzissmus im Job auszuleben, wächst auch in der Wirtschaft. Wer nicht versteht, wie stark ihn die persönliche Eitelkeit bei bestimmten Entscheidungen treibt, erfindet fadenscheinige Gründe, um das zu rationalisieren: Ich mache es für die Firma. In Wirklichkeit geht es oft nur darum, das eigene Ego aufzublasen.
Kriegsberichterstatter erzählen, dass sie bei ihren Einsätzen in Situationen geraten, die süchtig machen. Kennen Sie das?
Es ist ein ungeheurer Kick, wenn Sie eine lebensgefährliche Situation überstanden haben. Es gibt irgendwann auch eine Gier danach. Das sind neurobiologische Konditionierungen wie bei einem Drogensüchtigen. Heute weiß ich, wie solche Abhängigkeiten entstehen, wie wir uns selbst, ohne dass wir es merken, auf Belohnungssysteme, auf Dopamin-Ausschüttung im Gehirn, konditionieren. Das führt dazu, dass wir permanent einer Belohnung hinterherrennen, ohne uns als Person weiterzuentwickeln. Ich musste mich fragen, für was ich in diesen Einsätzen mein Leben riskiere. Das macht man, wenn man ehrlich ist, nicht ausschließlich für die journalistische Recherche, sondern für den Kick und die Eitelkeit. Ist es das wert, dass meine Kinder mich wochenlang nicht sehen und fürchterliche Ängste ausstehen?
Etwas sehr Ähnliches erleben karrieregetriebene Manager, nur dass ihre Droge nicht die Lebensgefahr oder die Bildschirmpräsenz ist. Sie haben sich in ihrem Belohnungssystem auf Macht und Status konditioniert. Dabei gibt es keine Sättigung: Es ist nie genug Macht, nie genug Ruhm, nie genug Geld. Irgendjemand ist immer reicher oder mächtiger. Menschen können sich durch solche antrainierten Konditionierungen in Sackgassen steuern, aber dabei nach außen sehr erfolgreich wirken.
Wie äußert sich das?
Eine Formulierung, die ich ab und zu höre, ist verräterisch: „Ich jammere auf hohem Niveau.“ Das heißt, eigentlich geht es mir gut, eigentlich habe ich keinen Grund, mein Leben zu ändern. Dann antworte ich, wenn das so ist, können wir uns das Management Coaching sparen. Oder stimmt etwas in Ihrem Leben nicht, trotz des hohen Niveaus? Damit kommt man zu den Ambivalenzen, den widerstreitenden Gefühlen im inneren Team. Die zu kurz gekommenen Bedürfnisse blitzen für einen Augenblick auf: „Ich sollte eigentlich …, ich müsste …“ Aber es folgt nichts daraus. Wenn es bei diesem „ich sollte …“ bleibt, muss es starke konkurrierende Emotionen geben, die dieses Bedürfnis blockieren – zum Beispiel die Konditionierung auf die Karriere, der Narzissmus, die Angst.
Wir alle leben mit solchen Ambivalenzen unterschiedlicher Bedürfnisse: der Wunsch nach sozialer Anerkennung, der Wunsch, geliebt zu werden, der Wunsch nach emotionaler und materieller Sicherheit. In welcher Relation diese Wünsche zueinander stehen, welche Wünsche sich im inneren Team stärker als andere durchsetzen, ist individuell und je nach Situation und Lebensphase unterschiedlich. Das ist nicht vom Verstand gesteuert. Wir müssen unsere Gefühle nicht mit einer scheinbaren Objektivität rechtfertigen, das ist unmöglich. Gerade für Führungskräfte, die gelernt haben, sich für rational handelnde Vernunftmenschen zu halten, kann es schwierig sein, das zu akzeptieren.
Ist es gesünder, sich selbst und anderen gegenüber den Preis für den anspruchsvollen Job einzuräumen?
Auf jeden Fall. Wenn ich in einer beruflichen Situation bin, die einen außergewöhnlich hohen Einsatz verlangt, muss ich in der Lage sein, zu erkennen und zu entscheiden, über welchen Zeitraum ich diesen Einsatz bringen kann, auch unter der bewussten Vernachlässigung anderer Bedürfnisse. Wir verstecken uns gerne hinter scheinbaren Sachzwängen, aus Scheu, Dinge zu verhandeln.
Wir blockieren uns also selbst?
Vermutlich öfter, als wir denken. Wir kennen Menschen, die gedanklich mit sehr vielen Möglichkeiten spielen, aber keine konkret verfolgen. Diese Handlungs- und Entscheidungsunfähigkeit rührt aus der Unfähigkeit, Prioritäten zu setzen. Auch mit der Nichtentscheidung trifft man eine Entscheidung, nämlich die, einen Zustand, in dem es einem womöglich nicht sehr gut geht, nicht zu beenden. Am Ende geht es um die Frage, was will ich eigentlich im Leben?
Verlernen Menschen, die es weit gebracht haben, sich diese Frage zu stellen? Ihr Erfolg scheint ja Antwort genug zu sein.
Deshalb frage ich nach ihren Wünschen, damit wir zu einer immer größeren Präzisierung und Klarheit kommen. Es geht nicht darum, als Coach Antworten zu liefern. Was die Menschen vom Leben wollen, wissen sie nur selbst. Ich versuche ihnen mit meinen Fragen zu helfen, das möglichst konkret herauszufinden. Eine Provokation kann sein, jemanden zu fragen, was er verpasst hätte, wenn heute der letzte Tag seines Lebens wäre. Vielleicht wäre eine Antwort: Ich habe aus Angst, mich nicht durchsetzen zu können, eine Möglichkeit verpasst, der ich heute noch nachtrauere. Es kann genauso ein Fehler sein, sich mit zu wenig Entschiedenheit und Ehrgeiz im Beruf zu engagieren, wie umgekehrt der Karriere alles andere unterzuordnen.
Viele Konflikte entstehen, weil Menschen falsche Vorstellungen von ihren Fähigkeiten und den Anforderungen einer Position haben. Wie lässt sich das verhindern?
Job und Mensch müssen zusammenpassen, darum geht es im Kern. Manche wollen in Management-Verantwortung und merken dann, dass sie nur Einheiten bis zu einer gewissen Größe gut führen können. Es gibt Fachleute in Unternehmen, die wunderbar auf ihrem Gebiet sind, deshalb aufsteigen – und dann merken, dass ihnen Menschenführung überhaupt nicht liegt. Wir haben derzeit einen Klienten, der im Laufe seiner Karriere Geschäftsführer mehrerer großer Unternehmen war.
Er hatte sein eigenes Unternehmen gegründet. Im Management Coaching hat sich der Verdacht aufgedrängt, dass er jemand ist, der sehr loyal und kompetent Vorgaben umsetzt, aber niemand, der selbst Geschäftsideen entwickelt. Nach und nach wurde deutlich, dass er mit seinem Unternehmen Geld verliert. Seine Ideen, das Unternehmen profitabel zu machen, wirkten eher wie Wunschdenken als eine nüchterne Analyse. Das ist letztlich fehlende Passgenauigkeit zwischen dem Menschen und seiner Position.
Es kann aber auch darum gehen, in der Unternehmenskultur etwas zu ändern. Ein Vorstandsvorsitzender, den wir beraten haben, ist ein außergewöhnlich harmoniebedürftiger Mensch. Er hält sich selbst für einen starken Entscheider. Aber er hat ein Klima hergestellt, in dem schwierige Themen nicht auf den Tisch kommen, weil die Konfliktfähigkeit fehlt. Das sorgt für Entwicklungsblockaden im Unternehmen. In all diesen Fällen geht es darum, sich über die eigenen Dispositionen und ihre Folgen klar zu werden.
Ein anderes Problem, das öfter bei Start-ups auftritt: Freunde haben eine Geschäftsidee, gründen ein Unternehmen, und irgendwann stellt sich heraus, dass die Fähigkeiten, die Firma weiterzuentwickeln, nicht bei allen gegeben sind. Ihre Freundschaft kann zu einer gefährlichen Falle werden, die verhindert, unternehmerisch notwendige Entscheidungen zu treffen. All diese Situationen verlangen, dass man sehr genau die eigenen Fähigkeiten und Wünsche und das Job-Profil anschaut, ohne sich etwas vorzumachen. Bauchgefühl reicht nicht.
Allerdings schwören nicht wenige auf die sogenannte emotionale Intelligenz. Liegen die falsch?
Ich habe ein Problem mit diesem arg strapazierten Begriff. In der Wissenschaft ist er seit gut zehn Jahren obsolet. Wenn Emotionen an sich intelligent wären, müsste mir meine Emotion sagen, ob sie gut oder falsch ist. So kann Angst ein notwendiges und richtungsweisendes Gefühl sein. Angst kann aber auch desorientierend sein. Das gilt für alle Gefühle. Wenn ich die Information meiner Gefühle nutzen will, brauche ich dafür meinen Verstand. Das bezeichne ich als Emotions-Management. Ich muss die Emotionen hören, ich muss sie ernst nehmen. Aber ich sollte mich nicht von ihnen treiben lassen, sondern sie reflektieren. Wer glaubt, die Intelligenz aus der Emotion erklären zu können, liefert eine Ausrede dafür, nicht nachzudenken und den eigenen Reflexen die Oberhand zu lassen.
Wenn die Karriere planmäßig oder abrupt endet, ist jeder Manager gezwungen, neu über sein Leben nachzudenken. Was beobachten Sie in solchen Fällen?
Führungskräfte, die sich selbst mit ihrer beruflichen Position verwechseln, schlagen sehr hart auf. Auf einmal ist der Sinn des eigenen Daseins infrage gestellt. Der Status ist weg, man ist nicht mehr wichtig. Das Geld ist dabei in der Regel das geringste Problem. Ein Beispiel: Ein Vorstand aus einem internationalen Phar-ma-Unternehmen, in dem ab einem bestimmten Alter der Vertrag nicht mehr verlängert wird, wusste lange vor Erreichen der Altersgrenze, dass dieser Tag kommen würde. Trotzdem war er darauf innerlich in keiner Weise vorbereitet. Materiell hatte er keinerlei Sorgen, er behielt sogar seinen Dienstwagen. Aber auf einmal wurde ihm klar, dass vieles, was er als Wertschätzung bekommen hatte, der Funktion und nicht der Person galt.
Das ist ein schmerzlicher Verlust, eine narzisstische Kränkung, die zu einer dramatischen Identitätskrise führen kann, bis hin zu Depressionen. Im Management Coaching ging es dann um die Frage: Wollen Sie jetzt in Ihrem Elend sitzen bleiben und sich selbst leidtun? Oder haben Sie mit Ihrer guten Konstitution, einer Lebenserwartung von vielleicht 20, 25 Jahren noch einmal einen Neuanfang vor sich? Ich habe kaum einen Klienten erlebt, der sagt, jetzt werde ich Golfer und reise um die Welt. Die allermeisten, gerade wenn sie in leitenden Positionen waren, wollen zeigen, dass sie noch zu etwas nutze sind. Es geht um Sinn und um soziale Anerkennung. Sie können sich sozial engagieren oder sich als Berater zur Verfügung stellen.
Die Kontrastfigur zum Manager am unfreiwilligen Karriere-Ende ist der junge Gründer, der seine Firma nach einigen Jahren für gutes Geld verkauft und dem nun alle Möglichkeiten offenstehen. Solche Leute dürften doch eigentlich keine Sorgen haben?
Doch, gerade weil ihnen viele Möglichkeiten offenstehen. Nichts zwingt so sehr zur bewussten Orientierung wie eine Überzahl von Optionen. Ich berate derzeit so einen Klienten.
Zur notwendigen Orientierung kann es auch gehören, darüber zu reden, ob die Ansprüche, die jemand an sich selbst hat, realistisch sind. Eine unserer Klientinnen wollte unbedingt eine Karriere als Fernsehmoderatorin machen, erhielt aber nur Absagen und hatte offenkundig nicht die dafür nötigen Qualifikationen. Da muss man dann ehrlich sein und versuchen, ihr dabei zu helfen, ihre Lage realistisch zu sehen.
Wie hat sie reagiert?
Letztlich haben wir das Management Coaching beendet. Es gibt natürlich auch Menschen, die lieber an ihren Illusionen festhalten möchten.-
Michael Schmitz,
Jahrgang 1954, arbeitete als Journalist für das ZDF, studierte in den USA Psychologie und Management. 2005 gründete er in Wien die Schmitz & Schmitz Coaching Company, 2009 die Kriseninterventions-Agentur Prevent K. Seit 2008 ist er Professor für Psychologie und Management an der Lauder Business School Wien.
„Man entwickelt einen Tunnelblick“
Herr K., Betriebswirt und seit 18 Jahren in der Chemie-Industrie tätig, berichtet aus seinem Management Coaching mit Michael Schmitz.
„Ich war Mitte 40 und hatte immer nach einem ähnlichen Muster gearbeitet: sehr erfolgsorientiert. Am Ende hatte ich ein Jahreseinkommen von gut 300 000 Euro. Ich hatte die Illusion, dass man, je höher man in der Hierarchie steigt, umso freier entscheiden kann. Das war ein Irrtum. Der Druck wurde größer, ich war stark fremdgesteuert. Interne Präsentationen, der Zwang zur Rechtfertigung in Reporting-Systemen und die Haus-Politik wurden wichtiger als die eigentliche operative Tätigkeit. Mich permanent innerhalb des Apparats gut zu verkaufen liegt mir nicht. Wie Boris Becker so schön sagt: „Du musst das Spiel lieben, wenn du gewinnen willst.“ Ich habe das Spiel nicht mehr geliebt. Gleichzeitig haben sich der Arbeitsdruck und die Arbeitszeit massiv erhöht, die sinnvoll verbrachte Zeit ist geschrumpft. Ab einem bestimmten Zeitpunkt haben die Belohnungsmechanismen bei mir nicht mehr funktioniert.
Es soll nicht arrogant klingen, aber eine hohe Sonderprämie hat mir irgendwann keine Freude mehr gemacht. Mein Einsatz und die Zeit, die ich dafür investieren musste, auf Kosten des Privatlebens, standen dazu in keiner Relation mehr. Es war ein langer Prozess, mir einzugestehen, dass es mir in meiner Situation nicht gut geht, dass ich etwas ändern muss. Ich habe an meinen Vorgesetzten auch gesehen, wie Leute menschlich verkümmern können, wenn sie die Leistung im Beruf über alles andere stellen. Mein Glück ist, dass ich eine Frau habe, mit der ich offen über solche Dinge sprechen kann. Erste Alarmsignale waren, dass ich auch in der Freizeit nicht mehr abschalten konnte.
Firmenkultur
Mir wurde klar, dass die Firmenkultur und ich nicht zusammenpassten. Eine Folge meiner Neuorientierung war die Kündigung, obwohl ich damals noch keinen Anschlussjob hatte. Der innere Prozess bis zur Kündigung dauerte etwa ein Jahr, das Management Coaching hat das sicher beschleunigt. Ich musste lernen, Erfolg für mich neu zu definieren. Erfolg heißt eben nicht nur Erfolg im Beruf, da ist man, wenn sich Konstellationen ändern, schnell austauschbar. Heute bedeutet für mich Erfolg auch, dass ich ein guter Ehemann und Familienvater sein will. Man hat bestimmte, immer wiederkehrende Verhaltensmechanismen, die teilweise unbewusst ablaufen und auch nicht immer besonders schlau und im Ergebnis vorteilhaft sind.
Wenn man sich weiterentwickeln will, muss man den Mut haben, auch eigene Fehler klar zu sehen. Gerade Manager tun sich damit schwer. Einer meiner Fehler war, mich darauf einzulassen, im Unternehmen zusätzliche Jobs zu übernehmen, statt eine Grenze zu ziehen. Ich hatte letztlich Angst, Nein zu sagen. Wenn Sie als erfolgreich und belastbar gelten, wollen Sie das nicht aufs Spiel setzen. Ein anderer Punkt ist, dass ich mir darüber klar werden musste, dass ich mit Mitte 40 andere Bedürfnisse hatte, als mit Anfang 30. Das heißt aber, dass ich meine gewohnten Verhaltensweisen, die früher für mich gestimmt haben, ändern muss. Wenn man nicht aufpasst, fällt man immer wieder in die alten Muster zurück.
Freizeit
Eine Frage im Management Coaching war die nach meinen Hobbys. Ich konnte sie nicht beantworten. Neben der Arbeit hatte ich letztlich keine großen geistigen Interessen. Man entwickelt einen Tunnelblick. Das möchte ich in meinem Leben ändern. Bei einer anderen Sitzung ging es um Erfolg. Ich bin, wenn Sie so wollen, in meinem Freundeskreis einer der Erfolgreichsten. Ich erzählte, dass mich einer überholen könnte, wenn ich beruflich nicht weiterkäme. Der Coach wusste, dass dieser Mensch keine Familie hat, und fragte mich: Wie kann Sie einer überholen, der keine Familie hat?
Mit anderen Fragen hat mich der Coach gezwungen, Handlungsoptionen durchzuspielen. Was ich hätte tun können, als ich zum Beispiel zusätzliche Aufgaben übernehmen sollte. Wir haben uns die Machtkonstellation angesehen, in der Situation hätte ich ohne Weiteres auch Nein sagen können. Letztlich ist es eine Ausrede, immer zu sagen, ich habe keine andere Wahl, die Firma ist schuld. Das stimmt eben nicht.
Jetzt zufriedener
Derzeit baue ich für eine ausländische Gesellschaft ein deutsches Tochterunternehmen auf. Ich arbeite nicht weniger als damals, aber ich habe wesentlich größere Handlungsspielräume. Ich handle aufgrund von Notwendigkeiten und nicht getrieben von willkürlichen Entscheidungen von Vorgesetzten. Ich verdiene heute in einer ähnlichen Größenordnung wie im alten Job, aber es geht mir wesentlich besser.
Natürlich werde ich auch jetzt am Ergebnis gemessen, damit habe ich kein Problem, solange ich die nötigen Mittel zur Verfügung habe, um das angestrebte Ziel zu erreichen. Ich bin ehrlicher zu mir selbst als früher, und ich bin gegenüber der übergeordneten Hierarchie souveräner. Werden, zum Beispiel beim geplanten Umsatzwachstum, Erwartungen an mich formuliert, die ich für unrealistisch halte, oder wird von mir etwas verlangt, das ich für sinnlos oder gegenüber den Mitarbeitern für unanständig halte, sage ich das deutlich. Dazu gehört im Zweifel auch die Bereitschaft, lieber ein Unternehmen, bei dem die Kultur nicht passt, zu verlassen, als alles zu schlucken.“ –
Hinterlasse einen Kommentar